Der Magische Kreis
© Sylvia Seelert
Es war die Musik, die Fion zu der kleinen Lichtung inmitten des alten Eichenhains lockte. Auf dem Weg nach Cill Airne hatte er den Hauptweg verlassen, um eine Wasserstelle zu suchen, und da trug der Wind die Töne zu ihm. Es war Musik, für die er kaum Worte fand, weil sich so viel Gegensätzliches darin befand. Sie war wie Wind, Regen, Sonne, Feuer und Eis zugleich. Die Töne pochten im Rhythmus seines Herzens und spannten einen ziehenden Schmerz um seine Brust. Noch ehe sein Bewusstsein es wahrnahm, bewegten sich seine Beine schon in Richtung der Musik als ob eine unsichtbare Schnur sie zu sich ziehen würde. Immer schneller liefen sie und stürmten schließlich aus den Büschen hervor, wo sie abrupt stehen blieben.
Sein Mund klappte nach unten und er rieb sich die Augen, doch das, was er vor sich sah, verschwand nicht vor seinen Blicken. Wesen in edlen Gewändern tanzten und spielten auf der Wiese. Grün waren ihre Kleider und Mäntel, gold bestickt und umsäumt; sie trugen einen goldenen Reif, der ihr fließendes Haar zur Seite hielt und unter dem spitze Ohren hervorlugten. Leichtfüßig, fast schon schwebend drehten und sprangen sie zu der Musik von Fiedeln, Trommeln und Flöten. Zunächst verharrte er am Rande der Lichtung, weil er nicht wusste, ob sie freundlich oder feindlich gesinnt waren. Doch sie beachteten ihn gar nicht.
Die Musik mit ihren wilden Klängen lockte ihn und so trat er mit bedächtigen Schritten näher. Als er in ihren Kreis trat, lächelten sie ihn freundlich an und ein nie gekanntes Gefühl von Glück und Wehmut durchzog jede Pore seines Körpers. In den Beinen und Armen pulsierte die wilde Melodie und so konnte er nicht anders, als mit ihnen zu tanzen. Er drehte sich, sprang in die Luft, wirbelte wieder herum und hüpfte mit ihnen gemeinsam. Die Wesen waren wie eine Brandung, aufgepeitscht durch die Musik, schäumten sie über die Lichtung und er wurde von ihrem Wogen mitgerissen. Das Mondlicht glitzerte in ihren Haaren und ihre Gesichter waren von einer feingliedrigen Schönheit, die er kaum erfassen konnte. Er lachte vor Glück, weil er mit diesen wunderschönen Wesen tanzen durfte.
Er spürte, wie eine Hand nach seinem Arm griff, daran zerrte und ihn schließlich mit einem energischen Ruck aus dem Kreis zog; er taumelte und fiel zu Boden. Die Musik verstummte augenblicklich und als er sich umsah, waren die Wesen von der Lichtung verschwunden.
"Fion Mac an Bhaird, bist du das? Ich bin's, Brian ... Brian Ó Cathail."
Verwirrt blinzelte er in die Richtung des Sprechers.
"Wo sind Sie hin?", nur krächzend kamen die Worte heraus, weil sein Mund ganz trocken war.
"Hier ist niemand außer uns beiden."
Sein Rücken war ganz krumm vor Schmerzen und seine Glieder zitterten mächtig, so dass er nur langsam und mühevoll aufstehen konnte. Dort, wo er mit den Wesen getanzt hatte, war nur ein Kreis aus niedergedrücktem Gras zu sehen.
"Mehr als zehn Jahre warst du verschwunden und wir alle glaubten, du wärst im Wald verunglückt und gestorben."
"Zehn Jahre?", flüsterte er fassungslos, "Das kann nicht sein. Es waren höchstens zwei Stunden."
"Oh Fion, du bist in einen Elfenkreis getreten und nur mit Mühe konnte ich dich dort herausziehen ohne selber in den Bann zu geraten. Ihre Zeit gleicht nicht der unseren. Sieh nur, wie grau und lang Bart und Haare geworden sind."
Er fasste sich an seinen Bart, der zu seiner Verwunderung nun bis zum Gürtel herabreichte, genau wie seine Haare, die ihn wie einen kurzen Umhang umgaben; graue Strähnen hatte die Zeit dort hinein gewoben.
"Komm, Fion, lass uns nach Hause gehen."
Sanft schob ihn Brian von der Lichtung und hakte ihn unter, weil die Beine ihn nur mühsam trugen.
Fion Mac an Bharid konnte jedoch die Musik der Elfen nicht vergessen; und so verschwand er eines Tages wieder und wurde niemals mehr gesehen.